Mit der Schrotflinte auf Einzellerjagd

Yay, Biologie! Literaturrecherche hat ergeben, dass das Fachgebiet recht umfangreich ist, aber irgendwo muss man ja anfangen. Es geht um Einzeller, spezielle DNA, Kryptozoologie, nordische Gottheiten und … Schweden? Den Anfang machen aber die guten alten Eukaryoten.


Eukaryoten sollten auch allen ein Begriff sein, denn das ist schließlich die Domäne des Lebens der wir angehören. Domäne, das ist ein Begriff aus der Klassifizierung und stellt die allgemeinste Einteilung überhaupt dar. Neben den Eukaryoten gibt es nur noch die Bakterien und Archaeen. Das heißt, wenn etwas lebt, dann ist es entweder ein Eukaryot, Bakterium oder Archaeon.

Traditionell hat man innerhalb der Eukaryoten einfach zwischen Tieren und Pflanzen unterschieden, allerdings wissen wir seit den 60ern, dass das Ganze nicht so einfach ist. Sogenannte Protisten, das sind ein- bis wenigzellige Organismen, zu denen zum Beispiel die Backhefe oder einige Mikroalgen gehören, fallen nämlich nicht in dieses Schema. Die Neueinteilung sämtlicher Eukaryoten ist aber ein riesiger Haufen Arbeit.

Es hat deshalb bis 2005 gedauert, bis eine Arbeitsgruppe endlich mit dem prokrastinieren aufghört hat und es durchgezogen hat. Wissenschaftler sind eben auch nur Menschen, die allerdings, wenn sie im Garten Blätter zusammenkehren sollen, viel lieber Fragen stellen; das ist schließlich ihr Job: „Warum haben wir überhaupt einen Garten? Sollten wir nicht in eine Wohnung ziehen? Ist das da hinten ein Eichhörnchen?“.1 Fairerweise muss man aber sagen, dass den Biologen vor dem Jahr 2000 keine besonders leistungsfähigen Computer zur Verfügung standen, was im Beispiel von eben heißt, man möchte Blätter mit einem Schneebesen zusammen fegen. Davor würde ich mich auch 40 Jahre lang drücken.

Die ersten 36 (von 116) Seiten von Adl et al., der Veröffentlichung, die die Neueinteilung durchgeführt hat. Im Paper stehen NUR die Obergruppen, keine einzelnen Arten…

Zusätzlich zu den Computern konnten die Biologen auch von den Fortschritten in der DNA-Sequenzierung profitieren. Um zu verstehen, wie das genau funktioniert, müssen wir uns etwas näher mit dem Aufbau der Eukaryoten beschäftigen.

Alle eukaryotische Zellen zeichnen sich dadurch aus, dass sie neben einem Zellkern, der eben die gesuchte DNA beinhaltet, zahlreiche kleine membranumschlossene Organelle in ihrem Inneren besitzen. Das bekannteste Organell ist vermutlich das Mitochondrium. Mitochondrien sind ein elementarer Teil der Zellatmung und werden vor allem in diversen Memes als „powerhouse of the cell“ beschrieben. Sie liefern der Zelle Energie, indem sie Sauerstoff und Zucker in Kohlenstoffdioxid und Wasser umwandeln. Der genaue Prozess ist ziemlich spannend, in Zukunft gibt es dazu vielleicht einmal einen separaten Beitrag. Fakt ist, dass fast alle Eukaryoten so ihre Energie gewinnen, bis auf einige wenige, die auf Gärung zurückgreifen. Aber das ignorieren wir bis auf weiteres, es ist so schon kompliziert genug.

Was an den Mitochondrien besonders spannend ist, ist die Tatsache, dass sie ihre eigene DNA beinhalten. Tatsächlich gilt das für die meisten Organellen. In ihrem Inneren findet sich ein mehr oder weniger komplexer DNA-Ring, der zumindest einen Teil ihrer Funktionen kontrolliert. Aber wie kommt er da hin?

Es stellt sich heraus, dass Eukaryoten eine Art Mischform aus den zwei weiteren, offenbar älteren Domänen des Lebens sind: Bakterien und Archaeen. Bakterien dürften allseits bekannt sein: Die netten Einzeller aus der Nachbarschaft, die entweder bei der Verdauung helfen oder ganz und gar nicht bei der Verdauung helfen. Archaeen sind vielleicht nicht ganz so bekannt, und unterscheiden sich von Bakterien größtenteils durch die Art und Weise, wie sie Proteine herstellen. Das geschieht in sogenannten Ribosomen, die aus RNA (im Unterschied zur DNA nur einsträngig statt doppelsträngig) und weiteren Proteinen bestehen. Die RNA, speziell ein Teil mit dem eingängigen Namen 16S-rRNA, ist bei Archaeen bedeutend verschieden von der der Bakterien, woran man dann die Unterteilung in zwei verschiedene Domänen festmacht.

Die sogenannte „Umschling, Umhüll, Versklav Hypothese“ (sic) besagt nun, dass es vor Abermillionen von Jahren ein geschicktes Archaeon geschafft hat, ein Bakterium einzufangen, und zur Energieproduktion zu verwenden. Daraus sind dann die modernen Eukaryoten mit ihren Mitochondrien und anderen Organellen entstanden, die durch ähnliche Einfangprozesse dazugekommen sind und deshalb noch einen Teil ihrer ursprünglichen DNA beinhalten.

Für die längste Zeit wusste man nicht, welchem Archaeon das arme Bakterium in die Falle gegangene war. Nach einer großangelegten Fahndungsaktion der SOKO Evolutionsbiologie konnte man die Asgardarcheen identifizieren. Die Archaeen in dieser Gruppe sind allesamt nach nordischen Gottheiten des Asengeschlechts wie Loki, Odin und Heimdall benannt. Die Biologen haben sich damit irgendwie selbst ins Knie geschossen, weil so dann ironischerweise doch Götter und nicht die Evolution einen Großteil des Lebens erschaffen haben. Wieder ein Sieg für die Theologie.

Die Asgardarcheen sind im übrigen nicht zufällig nach Gottheiten benannt. Der tatsächliche Ursprung ist der Fundort: Ein schwarzer Raucher im Nordpolarmeer mit dem Namen Loki’s Schloss, der sich auf dem Knipowitsch-Rücken befindet. Hier einige zusammenhangslose Fakten zum Knipowitsch-Rücken, weil der Wikipedia Artikel spannend war:

Centre for Geobiology/University of Bergen, Norway., CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Der Knipowitsch-Rücken ist nach Nikolai Machailowitsch Knipowitsch, Meeresforscher und Teilzeitsozialist, benannt, der in Sveaborg geboren wurde. Sveaborg ist eine schwedische Burg, die allerdings auf einer Insel vor Helsinki liegt, und lange zu Russland gehört hat.2 Dort wurde sie während des russischen Bürgerkriegs als Gefängnis der „Weißen“ genutzt, was für den linken Knipowitsch sicherlich immens ironisch gewirkt haben muss.
Der Schwede, der die Burg ursprünglich gebaut hatte, hieß Augustin Ehrensvärd (auf Deutsch also Ehrenhaft). Er war neben künstlerischen Ambitionen politisch aktiv und gehörte der Mützenpartei an. Deren politischer Gegner war natürlich die Hutpartei. Kann man sich nicht ausdenken.
Ehrensvärd’s Lebenslauf erinnert einen außerdem daran, wie unfassbar einflussreich Schweden einmal in Nordeuropa war. Als Offizier ist er bis nach Pommern vorgestoßen, womit Schweden quasi die gesamte Ostsee kontrolliert hat. Selbst in Sachsen ist jedes noch so kleine Loch in einem Fels danach benannt.

Sucht euch aus, was davon jetzt der Fun Fact war.

Als es vorhin darum ging, wie sich Archaeen von Bakterien unterscheiden, habe ich die 16S-rRNA erwähnt. 16S-rRNA ist nicht nur wegen ihrem Beitrag zur Proteinbildung wichtig, sondern hat auch für die Wissenschaft einige Vorteile. Sie ist zusammengesetzt aus hypervariablen und stark konservierten Regionen.
Letztere ändern sich während der Evolution kaum, weil sie für so wichtige Aufgaben zuständig sind, dass schon kleine Änderungen dazu führen, dass der Organismus nicht mehr lebensfähig ist. Deshalb sind sie gut nutzbar, um Unterschiede zwischen großen Gruppen festzustellen, wie es eben bei Bakterien und Archaeen geschehen ist. Diesen Zweig der Genetik nennt man Phylogenetik und sie produziert die komplexen Stammbäume von Arten, die man vielleicht aus Lehrbüchern kennt. Früher hat man dafür die äußeren Merkmale (den Phänotyp) von Spezies verglichen, jedoch ist der genetische Ansatz sehr viel genauer und durch heutige Rechenpower auch effizienter.

Ein früher Stammbaum, erstellt von H.G. Bronn; er nannte ihn Lebensbaum

Die hypervariablen Regionen wiederum können sich auch zwischen nah verwandten Arten stark unterscheiden. Der Grund dafür ist nicht, dass die DNA hier nicht genauso überlebenswichtig ist, sondern eher, dass es verschiedene Varianten von ihr gibt, die ähnlich gut funktionieren. Als Vergleich kann man sich Haarfarben anschauen: Jemand mit schwarzen Haaren kann genauso gut leben wie jemand Blondes, aber genetisch unterscheiden sie sich. Weil sich die hypervariablen Regionen im Verlauf der Zeit recht schnell verändern, kann man sie zum Beispiel untersuchen, wenn man wissen möchte, wie sich Populationen verbreiten. So wurden sie in etwa verwendet, um nachzuvollziehen, wie Menschen vor hunderttausenden Jahren aus Afrika in den Rest der Welt ausgewandert sind. Mittlerweile nutzt man dafür allerdings eher das Y-Chromosom, da es sehr viel länger und dementsprechend genauer ist.

Um solche Studien überhaupt durchführen zu können, greift man auf Techniken der Metagenomik zurück. Meine Lieblingsmethode ist das Shotgun Sequencing. Man nimmt dafür eine Probe aus dem Biotop, das man untersuchen möchte und sequenziert einfach sämtliches genetisches Material, was sich darin finden lässt. Hochleistungscomputer können aus den Genfragmenten dann vollständige Genome zusammensetzen, ohne, dass man das zugehörige Lebewesen je gesehen haben muss. Dazu schaut man sich den Überlapp zwischen zwei Fragmenten an, und puzzelt das Genom so Stück für Stück zusammen.

Das Vorzeigebeispiel für das Verfahren stammt aus der Sargassosee. Dort wurden knapp eine Milliarde Basenpaare gesammelt und etwa 1800 neue Arten entdeckt. Auch die Asgardarchaeen aus dem Nordpolarmeer hat man mit einem ähnlichen Verfahren gefunden.

Eine andere tolle Anwendung von Metagenomik ist die Suche nach Kryptiden, also mythischen Lebewesen wie Big Foot oder dem Yeti. Eine Gruppe hat zum Beispiel Proben für Shotgun-Sequencing aus dem Loch Ness genommen um Nessi endlich auf die Spur kommen zu können. Einer der Mitarbeiter lässt sich zitieren mit: „Ich war skeptisch darüber, dass mein Laborleiter der Jagd nach Loch Ness beitritt, bis ich realisiert habe, dass es ein exzellenter Weg ist, DNA-Analysen zu bewerben.“ Also seid nicht enttäuscht wenn kein Monster gefunden wird und freut euch über die vielen neuen Bakterien.



Footnotes

  1. Wissenschaftler kommunizieren ausschließlich mit Fragen. ↩︎
  2. Typisch Europa eben. Ich glaube es gibt keinen Ort, der über seine Geschichte nicht mindestens zu drei komplett verschiedenen Reichen gehört hat. ↩︎

Antwort

  1. Avatar von azaantrevillian1992

    wow!! 109Wie ein Autobauer erst die Tour de France begann und dann fast verhinderte

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