Das hier ist die erste Version von einem Format, das ich „Kurzgeschichten“ nenne, und hauptsächlich als Ausrede dient, einige kürzere Artikel statt einem langen zu schreiben. Viel Spaß beim Lesen!
In einer alten Zeitungsausgabe der „Berlinischen Monatschrift“ aus dem Jahr 1797 habe ich einen Bericht über ein Spukphänomen gefunden. Friedrich Nikolai, ein deutscher Autor und Aufklärer, hat nach Gerüchten über ein „nächtliches Gepolter“ beschlossen, sich das Ganze, mit ein paar anderen Gelehrten zusammen, mal etwas genauer anzusehen.

In einer Vollmondnacht, da der Geist angeblich nur in solchen erscheint, begibt sich die Gruppe in das heimgesuchte Diensthaus des Oberförsters in Tegel. Nachdem sie mit den Bewohnern des Hauses den Abend verbracht haben, finden sie sich im ersten Stock des Hauses wieder. Bei gelöschtem Licht fängt plötzlich im Nebenraum etwas an laut zu poltern. Die Skeptiker versuchen die Quelle ausfindig zu machen, scheitern aber blöderweise daran, eine Tür in weniger als 60 Sekunden zu öffnen. Als sie den betroffenen Raum endlich betreten, finden sie lediglich einen Flur mit einer großen Truhe darin vor.
Nach diesem Fehlschlag stellen sie beim nächsten Vollmond eine Folgeuntersuchung an. Aber auch dann können sie den Geist leider nicht ausfindig machen. Stattdessen finden sie einige nicht phantastische Geräuschquellen. Klopfzeichen können mit Schlägen gegen ein Fenster und eine Holzplatte reproduziert werden. Außerdem vermutet man einen menschlichen Komplizen, der sich bei Vollmondlicht einfach in das Haus schleichen konnte.
Der Autor besteht trotzdem auf die Wichtigkeit seiner Untersuchungen, vermutlich aus persönlichen Gründen. Nicolai wurde nach eigener Aussage nämlich auch selbst hin und wieder von einer Geistererscheinung heimgesucht. Nachts saß er deswegen oft aufrecht im Bett und sah eine ominöse weiße Dame am Fußende des Betts schweben, woraufhin er von seiner Frau beruhigt werden musste.
Um den Geist oder die übernatürliche Aura, die ihn angeblich umgab, loszuwerden, wandte Nicolai eine recht fragwürdige Methode an. Er platzierte Blutegel an seinem Gesäß, die die übernatürliche Energie absaugen sollen. Hätten wir heute noch solche Behandlungen, wäre ich aus Angst nie wieder krank. Über das alles 1 schreibt er dann sogar noch einen Artikel in einem wissenschaftlichen Fachblatt, was ihm relativ weite Bekanntheit einbringt, wenn auch vielleicht nicht die, die er sich gewünscht hätte.
Unter anderem bekam sein Zeitgenosse Goethe so von der Geschichte mit. Dieser fand das so lächerlich, dass er Nicolai als den Proktophantasmist, was so viel wie „Steißgeistseher“ bedeutet, in Faust und einigen seiner Gedichten verewigt. Ein weiterer Kommentar, den ich einfach wundervoll finde, stammt von den Gebrüder Schlegel 2: „Verschwindet etwas, wenn man sich sechs Blutigel [sic!] an den After setzen läßt, so ist es eine bloße Erscheinung; bleibt es, so ist es eine Realität“.
Nachdem im Jahr 1990 in Hongkong das Gebäude der Bank of China errichtet wurde, hat die HSBC auf ihr danebenstehendes Gebäude zwei Kräne montiert, die wie Kanonen auf die Bank of China zeigen. Das mag größtenteils eine Ausuferung des politischen Konflikts um Hongkong gewesen sein, aber tatsächlich spielt auch das sogenannte Feng Shui eine Rolle.
Feng Shui ist eine Lehre aus dem alten China, die den Anwender mit seiner Umgebung harmonisieren lassen soll. Dabei geht es größtenteils um den freien Fluss einer angeblichen Lebensenergie, dem sogenannten Chi, durch Gebäude und Wohnungen 3. Wie man das genau anstellt ist schwer zu sagen, da keine eindeutigen Regeln existieren. Ein paar Grundprinzipien findet man aber durch Querlesen diverser fragwürdiger Websites trotzdem.
Am wichtigsten ist die Lage der Ein- Ausgänge, da durch diese das Chi in die Wohnung gelangen kann. In der Wohnung ist es nun wichtig den Fluss des Chi nicht zu unterbrechen, indem man zum Beispiel ein Sofa vor die Tür stellt. Außerdem sollte man z.B. sein Bett nicht zwischen Tür und Fenster stellen, da sonst nachts das Chi den Schlaf stört.4

Die Einrichtungsgegenstände selbst sollten möglichst runde Ecken besitzen, weil scharfe Kanten wie Messer wirken und den Fluss unterbrechen. Weitere No-Gos sind unter anderem offene Klodeckel, Spiegel im Schlafzimmer, ein Herd zwischen Spüle und Kühlschrank und tote Objekte in der Wohnung 5. Prinzipiell ist das alles nicht unbedingt schädlich, aber ob es diesen mystischen Oberbau für Aussagen, die in etwa so wertvoll sind wie: „Laufe nicht mit einem Flammenwerfer in ein Feuerwerksgeschäft!“ wirklich braucht, ist fraglich. Vor allem weil sich einige „Experten“ eine goldene Nase an dem Kram verdienen, obwohl es nicht einmal eine tatsächliche Vorgabe gibt. Feng Shui vermischt sich im Westen auch langsam mit der Esoterik und anderen wissenschaftsfeindlichen Bereichen.
Zurück nach Hongkong. Nach der Kulturrevolution wurde Feng Shui in China selbst nicht mehr großflächig praktiziert, in Hongkong allerdings schon. So wurde das HSBC-Gebäude von Norman Foster entworfen, der sich dabei von einem Feng-Shui Meister beraten lassen hat. Der resultierende Wolkenkratzer ist ziemlich cool. Die offene Bauweise erlaubt viel Licht in ein sich über mehrere Stockwerke erstreckendes Atrium und wurde damals als revolutionär angesehen. Norman Foster ist aber auch ein extrem talentierter Architekt 6 und wie viel das Feng Shui zur Großartigkeit des Gebäudes beigetragen hat steht zur Debatte. Zumindest erfüllt es laut der Bevölkerung dessen Regeln.
Die Bank of China hat sich einige Jahre später dazu entschlossen, direkt neben das HSBC Gebäude ihren eigenen Wolkenkratzer zu stellen. Nun befindet sich Hongkong ja bekanntlich im Konflikt mit China. Deshalb hat China sich entschlossen7, ein Gebäude zu errichten, was dem Feng Shui in jeglicher Hinsicht widerspricht. Der Grundriss ist ein Dreieck und die gesamte Fassade besteht aus spitzen Winkeln, was ja, wie wir oben gelernt haben, den Fluss des Chi stört. Also negative Energie auf ganzer Linie, das volle Programm.
Als Antwort hat sich die HSBC dann die erwähnten Kanonen auf das Dach gebaut, um die negativen Einflüsse abzuwenden. Die Kanonen sind dabei eigentlich Kräne zum Fensterputzen, die in ihrer eingefahrenen Position praktischerweise auf die Bank of China zeigen. Laut den Menschen, die an Feng Shui glaube, hat das dazu geführt, dass unglückliche Vorkommnisse, wie der Herzinfarkt eines Gouverneurs und der Bankrott eines Besitzers des nebenan stehenden Wolkenkratzers, nicht weiter auftraten.
Und hier noch ein paar Quellen und so:
- Das Bild der HSBC vom Beitragsbild kommt von hier: WiNG, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
- Der Zeitungsartikel mit dem Spukbericht und der Wikipedia-Artikel dazu
- Der Spuk ist auch im Buch Deutsche Gespenstergeschichte von Gero von Wilpert zu finden
- Ein paar Blog-Beiträge zu Feng-Shui: Schöner Wohnen, Planet-Wissen
- Das HSBC-Gebäude und assoziertes Feng-Shui
Footnotes
- Ja, wirklich ALLES! ↩︎
- Deutsche Literaturhistoriker, Philosophen, Publizisten und Übersetzer. Keine Sorge, ich hab sie auch nicht gekannt. ↩︎
- Das es dafür keine wissenschaftliche Basis gibt, muss ihr hier hoffentlich nicht erwähnen. Tatsächlich verschmilzt Feng Shui im Westen langsam mit Esoterik und einigen Parawissenschaften und ist auf gutem Weg Wünschelruten und Erdstrahlen zu ersetzen. ↩︎
- Mir hätte der kalte Windzug auch als Grund gereicht. ↩︎
- Ich lass das jetzt einfach mal so stehen. ↩︎
- Einige von ihm entworfenen Gebäude: Der Apple Campus, die British Library (BLPES), der Dresdener Hauptbahnhof, das Reichstaggebäude und dieses komische Haus in London, das aussieht wie eine Gurke. ↩︎
- Mutmaßlich. Obwohl ziemlich viel dafür spricht. ↩︎


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